Arbeitnehmerherkunft und betriebliche Arbeitsbeziehungen – Interessenvertretung bei Beschäftigten unterschiedlicher nationaler/ethnischer Herkunft

Das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher nationaler Herkunft stellt eine zentrale Herausforderung der westlichen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften dar. Themen wie Fremdenfeindlichkeit und multikulturelle Gesellschaft spielen in der politischen, öffentlichen und auch wissenschaftlichen Debatte eine große Rolle. Obwohl die Arbeitswelt als primäres Feld sozialer Integration zu betrachten ist, zogen in Deutschland das Zusammenarbeiten von Arbeitnehmern unterschiedlicher Herkunft im Betrieb und das Verhältnis von Arbeitnehmerherkunft und betrieblicher Interessenvertretung nur wenig wissenschaftliche Aufmerksamkeit auf sich.

Das Projekt untersuchte Zusammenhänge zwischen der sozialen Integration von ArbeitnehmerInnen unterschiedlicher nationaler bzw. ethnischer Herkunft im Betrieb und der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen.

Den Kern der Untersuchung bildeten drei intensive Betriebsfallstudien in zwei verschiedenen Branchen. In jedem der Untersuchungsbetriebe wurden Interviews mit ArbeitnehmerInnen unterschiedlicher Herkunft sowie vor- und nachbereitende Experteninterviews mit Betriebsräten und Managern durchgeführt. Ergänzt wurden diese Interviews um eine schriftliche Arbeitnehmerbefragung, die dazu diente, die quantitative Verbreitung von Herkunftseinflüssen auf die Interessenorientierung, auf Anerkennungswünsche und die betrieblichen Arbeitsbeziehungen in den Untersuchungsbetrieben zu ermitteln.

Die wichtigsten Befunde: Die Betriebe sind keine völlig isolierten Inseln, die von Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung und Konflikten zwischen Herkunftsverschiedenen gänzlich verschont blieben, doch sie sind allenfalls in seltenen Fällen der Ort, an dem Ressentiments oder Ethnozentrismus entstehen. Aus Sicht der meisten Beschäftigten ausländischer Herkunft ist auf Herkunft zielende Diskriminierung selten. In den Betrieben findet sich vielmehr eine kooperative und weitgehend kollegiale Form der Beziehungen zwischen den Beschäftigten, die sich als „pragmatische Zusammenarbeit“ bezeichnen lässt. Diese Form kollegialer Beziehungen wird von der Mehrheit der Beschäftigten gewollt und im Arbeitsalltag aktiv hergestellt, bildet sich jedoch unter dem Einfluss der alltäglichen Kooperationsnotwendigkeit, der betrieblichen Arbeitsanforderungen und der Arbeit der Betriebsräte. Während die Wirkung der kollegialen Praxis über den Betrieb hinaus allerdings begrenzt ist, da sowohl das Management und die Betriebsräte als auch viele Beschäftigte zur Entlastung vor herkunftsbezogener kultureller Differenz deutlich zwischen betrieblichen und privaten Angelegenheiten trennen, wird die betriebliche Integrationsleistung durch externe institutionelle Einflüsse geformt, insbesondere das Betriebsverfassungsgesetz und die Flächentarifverträge. Die erfreuliche Integrationsleistung der Betriebe ist damit an institutionelle Voraussetzungen gebunden, deren Stabilität zukünftig keineswegs gesichert erscheint. Allenfalls geringe Effekte haben die Betriebe darüber hinaus auf die Unterschichtung der Sozialstruktur durch die Migranten und deren Nachkommen: Die Beschäftigten ausländischer Herkunft verrichten in den Betrieben überwiegend Tätigkeiten mit geringem Status, wobei die Betriebe die gesellschaftliche Sozialstruktur lediglich abbilden, sie weder durch Diskriminierung nach Herkunft verschärfen noch ihr entgegenwirken.

Finanzier: Hans-Böckler-Stiftung
Laufzeit: 2/03 bis 6/05
Projektleitung und -bearbeitung: Dr. Werner Schmidt

Projektergebnisse:

  • Schmidt, W. (2015): Diskriminierung und Kollegialität im Betrieb, in:  Scherr, Albert (Hrsg.): Diskriminierung migrantischer Jugendlicher in der beruflichen Bildung. Stand der Forschung, Kontroversen, Forschungsbedarf, Beltz Juventa: Weinheim und Basel: 259-281.
  • Schmidt, W./Müller, A. (2013): Social Integration and Workplace Industrial Relations: Migrant and Native Employees in German Industry. In: Relations Industrielles/Industrial Relations, 68 (3): 361-386.
  • Schmidt, W. (2013): Kollegialität statt Differenz? Kollegialität trotz Differenz! In: Vorstand Verein Mach‘ meinen Kumpel nicht an! „Gleichbehandlung und Antirassismus in Betrieb und Verwaltung“, Düsseldorf: 17-19.
  • Schmidt, W./Müller, A. (2012): German Co-determination and Migrant Integration at Industrial Workplaces. Plenary paper presented at the 16th ILERA World Congress Philadelphia, Pennsylvania, USA, July 2-5, 2012.
  • Schmidt, W. (2007): Arbeitsbeziehungen und Sozialintegration in Industriebetrieben mit Beschäftigten deutscher und ausländischer Herkunft, in: Industrielle Beziehungen. Zeitschrift für Arbeit, Organisation und Management, 14. Jg., 4/2007, 334-356.
  • Schmidt, W. (2007): Betriebliche Arbeitsbeziehungen: Zwischen Kollegialität und Differenzen, in: Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung (Hg.): Rechte Orientierungen bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern (WISO-Diskurs, Juni 2007), 35-48.
  • Schmidt, W. (2006): Pragmatische Zusammenarbeit. Kollegialität und Differenz bei Beschäftigten deutscher und ausländischer Herkunft in Industriebetrieben, in: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 35, 6/2006, 465-484.
  • Schmidt, W. (2006): Kollegialität trotz Differenz. Betriebliche Arbeits- und Sozialbeziehungen bei Beschäftigten deutscher und ausländischer Herkunft, Berlin: edition sigma.
  • Schmidt, W. (2005): Kollegialität und Differenz. Migration und betriebliche Arbeitsbeziehungen. Projektbericht an die Hans-Böckler-Stiftung, Tübingen, Mai 2005.
  • Schmidt, W. (2005): Industrielle Beziehungen, Interesse und Anerkennung. Plädoyer für eine duale Perspektive, in: Industrielle Beziehungen. Zeitschrift für Arbeit, Organisation und Management, 12. Jg., 1/2005, 51-73.
  • Schmidt, W. (2004): Arbeitnehmerherkunft und betriebliche Arbeitsbeziehungen. Zwischenbericht zur Beiratssitzung am 26. März 2004, Ms. Tübingen.